

Spring in deinen Stand
- 13 Minuten Lesezeit
- Kultur & Brauchtum
Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Entscheidung getroffen. Eine Entscheidung, die nicht nur Ihr restliches Leben verändern wird. Mehr noch: Eine Entscheidung, die Sie das Leben kosten kann. Und selbst wenn Sie es schaffen sollten, alt zu werden: Die Sonne werden Sie nicht mehr oft sehen. Sie werden die härteste Arbeit machen, die man sich vorstellen kann, am unbehaglichsten Ort: unter der Erde. Sie machen sich bereit zum Sprung in dieses Leben. Wenn Sie jetzt springen, ist Ihre Entscheidung, Ihr Schicksal, für immer besiegelt. In der Dorfgemeinschaft wird man Ihnen höchsten Respekt zollen, jeder weiß, dass Menschen wie Sie es sind die für den Wohlstand hier sorgen. Sie werden etwas aufbauen, dass noch Generationen Bestand hat. Und das, was Sie abbauen, ist weltweit heiß begehrt. Und doch: Es ist die härteste Entscheidung Ihres Lebens. Es ist so weit: Jemand fragt Sie, wie Sie heißen. Sie sagen Ihren Namen. Jemand fragt Sie nach ihrem zukünftigen Stand. Sie sagen: „Bergmann.“ Jemand fragt nach Ihrem Wahlspruch. Jemand ruft: „Nun: Spring in Deinen Stand!“ Und Sie springen.
Vom „Arschleder“ zum UNESCO-Welterbe
Das sogenannte „Arschleder“ dient den Bergleuten seit mindestens 500 Jahren als Arbeitsschutz. Damit wurde verhindert, dass sich ihr Hosenboden abnutzt, wenn sie buchstäblich in den Stollen rutschten. Irgendwann entwickelte sich dadurch der Brauch des „Ledersprungs“, ein Ritual, mit dem man endgültig in den Bergmannsstand aufgenommen wurde. Spätestens seit 1848 ist dieses Ritual auch an der Steirischen Eisenstraße gebräuchlich. War der Beruf des Bergmannes früher mit jeder Menge Gefahr, damit aber auch mit vielen Privilegien verbunden, so ist er heute weit weniger bedrohlich. Doch, wie Peter Moser, der Rektor der Montanuniversität Leoben erklärt: „Kein Beruf hängt sosehr an alten Überlieferungen wie der des Bergmanns. Zu seiner Welt gehören die verschiedensten Bräuche.“ Und das wird verständlich, wenn man bedenkt, wie außergewöhnlich dieser Beruf von alters her war. An der Steirischen Eisenstraße entwickelte sich eine Vielzahl an solchen Bergmannsbräuchen und -feierlichkeiten, die weltweit einzigartig ist. Der Ledersprung der Montanuniversität Leoben ist in seiner Größe außergewöhnlich. Die „Barbarafeiern“ (die heilige Barbara ist die Schutzpatronin der Bergleute) an der Eisenstraße, den Bergmannskittel, all das gibt es in dieser Form nirgendwo sonst. Damit ist es nur logisch, dass die UNESCO dieses Brauchtum 2018 zum immateriellen Kulturerbe erhoben hat.
"Kein Beruf hängt so sehr an alten Überlieferungen wie der des Bergmanns." - Rektor Peter Moser
Ledersprung der Montanuniversität
Mit Ach und Krach haben wir Karten für den Ledersprung der Studentinnen und Studenten der Montanuniversität in der Sporthalle Donawitz ergattert. Das ist kein einfaches Unterfangen, gilt die Veranstaltung doch als regelmäßig ausverkauft – gerüchteweise campieren manche Studierente vor dem Verkaufsschalter, um Karten zu ergattern. Ehrwürdig ziehen zuerst die Studentenverbände, dann die Professoren der Universität ein. So bunt die Kappen der farbentragenden Studenten sind, so eindeutig ist der Anzug derer, die hier schon Bergleute sind oder heute springen, um welche zu werden. Denn der Bergmannskittel, der übrigens auch zum Weltkulturerbe gehört, ist nach strikten Vorgaben angefertigt – nach einer Verordnung aus dem Jahr 1890. Bier spielt hier natürlich eine Rolle – denn als nahrhaftes Getränk mit niedrigem Alkoholgehalt war es früher wichtiges Lebensmittel der Bergleute. Dass der Braumeister der Gösser-Brauerei, Michael Zotter, der übrigens nur für diese Art der Feierlichkeiten ein eigenes „Barbarabier“ braut, bei der Vorstellung der Ehrengäste tosenden Applaus erhält, lässt uns schmunzeln. Und zugleich ist es verständlich. Denn das Bier, das an diesem Abend gut gekühlt serviert wird, schmeckt vorzüglich. Außerdem ist die Gösser-Brauerei einer der Hauptsponsoren der Veranstaltung, wofür wir, im Namen von 1.000 durstigen Studenten und Studentinnen, noch einmal herzlich „Danke“ sagen. Die Veranstaltung bietet viel Raum für gemeinsames Singen von Bergmannsliedern, Plaudern und Zuprosten. In stimmungsvollen Ansprachen wird immer wieder auf die Bräuche der Bergleute und den Stolz des Berufsstandes Bezug genommen. Rektor Moser spricht von der Wichtigkeit verschiedener Traditionen und wie sie in all ihren Ausprägungen in unterschiedlichen Kulturen dafür sorgen, dass diese Welt ein bunter Ort menschlicher Vielfalt bleibt. Dann ist es so weit, es beginnt der Höhepunkt, der Ledersprung. Beeindruckend, wie viele StudentInnen hier in den Bergmannsstand springen. Es ist immer dasselbe Ritual: Erst wird nach Name, Herkunft, Wahlspruch und Stand gefragt, dann muss der oder die Springende ein Bier trinken, und schließlich heißt es: Nun spring in deinen Stand! Und jeder und jede einzelne springt. Beeindruckend auch, aus wie vielen verschiedenen Ländern diese Studenten kommen, aus wie vielen unterschiedlichen Kulturen, und berührend, dass hier erst ein ukrainischer und dann ein russischer Student springen. Und berührend, mit welchem Stolz diese StudentInnen den Sprung machen – nun, in diesem Stand, sind sie eine Gemeinschaft, egal was genau und wo auf dieser Welt sie einmal arbeiten werden. Wie es Rektor Moser formuliert: „Der Ledersprung soll das Zusammengehörigkeitsgefühl der Montanistinnen und Montanisten zum Ausdruck bringen und stärken“. Einige Tage später, in einem Lokal an der Eisenstraße: Von Eisenerz bis Leoben, in Vordernberg, in Trofaiach, kurz: an der ganzen uralten Eisenstraße sind die Barbarafeiern abgeschlossen. Das
letzte Barbarabier ist getrunken, das letzte „Barbaragulasch“ gegessen, zahlreiche Barbaramessen gefeiert, Umzüge, Konzerte haben stattgefunden. Wir kommen mit einem älteren Herrn ins Gespräch. Er erzählt, dass er selbst Bergmann war, wie schwierig die Arbeit war, als er begonnen hat, dass alles immer leichter geworden sei, dass die Menschen hier oft davon reden würden, dass es am Erzberg nun weniger Arbeit gäbe, dass aber in Wahrheit die Betriebe in der Umgebung doch boomen würden. Er meint, seinen Kindern sei das Leben leichter geworden als ihm selbst. Und seine Enkelkinder würden studieren können. Alles sei immer besser geworden. So wie er es sich gewünscht hatte als junger Mann. wir fragen ihn, ob er sich noch an seinen eigenen Ledersprung erinnern könne. Seine Augen werden größer, und er meint: „Ja, selbstverständlich!“ Dann wird er nachdenklich und meint bedächtig: „Und ich habe es nie bereut.“